Aus einer anderen Perspektive

Endlich wieder draußen trainieren! So klang es in der Whatsapp Gruppe der Bogenschützen des MTV Seesen Anfang April. Trotz der Corona Beschränkungen, die sich zum Teil von Woche zu Woche veränderten, waren die Bogenschützen schon sehr aktiv. Sobald es wieder ging, wurde das Training wieder angeboten, vor allem für die Kinder sollte so schnell wie möglich ein Angebot geschaffen werden. Die drei Trainer der Bogensparte haben dabei alle Register gezogen; montags finden zurzeit 3 bis 4 Stunden Kinder- und Erwachsenen-Training statt, freitags nochmal 2 für Erwachsene und mittwochs gibt es 3D Training, damit die Gruppen wegen der Corona Auflagen so auseinandergezogen werden können, dass alle, die Training haben möchten, auch schießen können.

Immer mit dabei sind unsere beiden Rolli-Schützen Gabi Schroppe und Silas Besser, die beide schon über ein Jahr schießen und unsere tolle Truppe bereichern. Für alle, die vielleicht mit körperlichen Einschränkungen Sport treiben, möchten wir hier einmal die besondere Rolle des Rollstuhl-Bogensports aus der Perspektive dieser beiden Schützen beleuchten.

Silas, der mit 9 Jahren bei uns angefangen hat, hatte bereits andere Sportarten probiert. Seine ganze Familie ist im MTV engagiert und seine beiden Brüder spielen eifrig Handball. Die Handballtrainer waren sehr bemüht, ihn in den Sport zu integrieren, aber leider fehlte es an der erforderlichen Zahl der Rolli-Sportler, um mit ihm ein Team zu gründen. Silas` Vater Björn erzählte uns, dass sie es auch schon mal im „normalen“ Schützenverein in Rhüden probiert haben, aber leider waren die Örtlichkeiten dort für Rollstuhlfahrer zu schwer zugänglich. Neben dem Schwimmen, das Silas mit Begeisterung im MTV betreibt, kamen sie dann auf die Idee, es mal mit Bogenschießen zu probieren.

Zuerst kam Silas mit seiner Oma, aber schnell stellte sich heraus, dass er außer der Fahrgelegenheit kaum Unterstützung von seinen engagierten Helfern brauchte, denn Bogenschießen ist eine der wenigen Sportarten, in denen die Schützen vom Rollstuhl aus kaum Einschränkungen haben; sie schießen auf die gleichen Entfernungen wie die gehenden Schützen, benutzen die gleichen Bögen und erhalten das gleiche Training. Klar, es hilft auch mal jemand die Pfeile aus der Scheibe zu ziehen, wenn diese zu hoch stecken, aber im Grunde sind die Rolli-Schützen von der ersten Minute an gleichberechtigt und voll integriert.

Gabi, die bei einem Ausflug im letzten Sommer einmal mit einer Freundin am Bogenplatz vorbeikam, schaute vom Tor aus zu und wurde dann gleich von uns auf den Platz herunter gewunken. Wir erzählten ihr ein bisschen vom Bogenschießen und nachdem sie interessiert zugeschaut hatte, machten wir mit ihr gleich einen Termin zum Probetraining. Seitdem schießt Gabi mit Begeisterung bei uns und kommt jetzt sogar mit ihrer Enkelin Emily, die genauso viel Spaß am Bogenschießen hat. Da macht nicht nur der Sport Spaß, sondern auch die gemeinsame Zeit mit der Enkelin, die beiden sind wirklich ein Herz und eine Seele.

Gabi, die als Erwachsene wegen ihrer Hüftprobleme jetzt einen Rollstuhl benutzt, hat früher viel Sport gemacht und war schon immer sehr unternehmungslustig. Leider sind viele Sportarten jedoch für Rollstuhlfahrer nicht so gut geeignet und selbst normale Spaziergänge bzw. Spazierfahrten sind in der Umgebung nur schwer möglich, weil auf die Wanderwege oft so viel Schotter aufgebracht wird, dass man mit dem Rollstuhl dort nur noch schwer vorankommt. Bogenschießen ist da eine tolle Alternative.

Toll ist natürlich auch, dass die Sporthalle des MTV Seesen barrierefrei ist, so dass die Rollstuhlfahrer auch im Winter mit trainieren können, ohne dass Treppen überwunden werden müssen. Im Sommer, wenn wir auf dem Ascheplatz im Schildaupark schießen, gibt es auch schon mal ein bisschen Unterstützung von einem Teamkollegen, wenn wir zur Scheibe gehen bzw. fahren, um die Pfeile zu ziehen, denn wenn der Platz nass ist, dann ist das Rollen dort etwas schwerer. Ansonsten schießen die beiden aber ganz normal auf die jeweiligen Entfernungen. In der Vereinsmeisterschaft, die wir den Schützen trotz der gegebenen schwierigen Corona Auflagen ermöglicht haben, sind Gabi und Silas sogar Vereinsmeister in ihren jeweiligen Altersklassen in der Disziplin olympisch Recurve geworden! Das war schon eine ganz schöne Anstrengung, 72 Pfeile in einer Meisterschaftsrunde zu schießen und das nach der langen Corona-Pause im Winter. Beide sind toll über sich hinausgewachsen; während andere Bogenschützen noch im „Winterschlaf“ sind und ihre Bögen erst noch abstauben müssen, haben Silas und Gabi schon richtig wieder in ihre alte Form hineintrainiert. Jetzt überlegen beide, ob sie auch bei der Kreismeisterschaft antreten.

Für Gabi ist der Bogensport vor allem ein Freizeitvergnügen und eine tolle Gelegenheit, Zeit mit ihrer Enkelin zu verbringen. Turniere stehen im Moment nur aus Spaß an der Freude auf dem Programm. Silas kann sich schon vorstellen, auch mal leistungsmäßig zu schießen, allerdings geht er jetzt auf das Gymnasium und das hat natürlich Priorität. Um regelmäßig Turniere und Meisterschaften zu schießen, sollte man dann schon die Trainingsfrequenz auf 2 bis 3 Mal die Woche erhöhen, aber dafür hat er ja mit seinen 11 Jahren auch noch Zeit, die Schule geht natürlich vor.

Beide Schützen haben auch schon mal auf unserem 3-D Parcours im Wald geschossen, was natürlich ein bisschen mehr Unterstützung von Helfern erfordert, weil es dort auch bergauf und bergab geht. Aber wir wollen den Rolli-Schützen eben auch ermöglichen, an allen Angeboten teilzunehmen und so über sich hinaus zu wachsen.

Wer als Rollstuhlfahrer Interesse hat, das Bogenschießen einmal auszuprobieren, kann sich gerne bei uns melden. Anfragen bitte an den 1. Vorsitzenden der Bogensparte Christian Rogall, Tel. 05382 /595 9965. Weitere Infos findet ihr auch auf der Website des MTV, Stichwort Bogen. Wir freuen uns auf euch!

Eure Pressewartin Brigitte Curtis


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